Vielfalt: Wir schaffen das

Transkript Folge 21 „Kowall redet Tacheles“

Szene Mundl

Der Wiener Dialekt, ist er nicht legendär? Nur, wer spricht ihn noch? Das Wien wo so gesprochen wurde wie zu Mundl Sackbauers Zeiten, das gibt es praktisch nicht mehr. Ist das bedauerlich?

Reden wir einmal Tacheles!

Wie alt sind die Wiener, die noch den Dialekt von Mundl Sackbauer im Alltag verwenden? Junge Menschen sprechen das praktisch nicht mehr. Das hat zwei Gründe: Erstens der Bildungsaufstieg: Viele Kinder von Eltern, die selbst noch Wiener Dialekt gesprochen haben, haben Matura gemacht und sprechen heute nach der Schrift. Der zweite Grund ist die Migration: Zwei Drittel der Kinder in Wiener Volksschulen haben nicht Deutsch als Muttersprache. Migrantische Teenager verwenden das Mundl-Deutsch überhaupt nicht mehr. Diese Veränderung macht viele Leute sentimental.

Viel Wehmut verursacht auch der Wandel im Stadtbild. Berühmt dafür ist die Simmeringer Hauptstraße im elften Wiener Gemeindebezirk. Die Bevölkerung und das Stadtbild haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Viele Kinder Simmerings haben Matura gemacht, studiert und sind weggegangen. Hinzu kommen die geringen Geburtenraten, die wir seit den 1970er-Jahren in Österreich haben. Die jungen Simmeringer sind also entweder weggezogen, oder sie wurden gar nie geboren. 

Ich persönliche neige zur Sentimentalität und verstehe die Wehmut, vor allem der älteren Bevölkerungshälfte in Österreich. Das war früher für dich Heimat und jetzt ist es Dir irgendwie fremd. Dass das für den Einzelnen traurig ist, kann ich nachvollziehen. Mich persönlich macht zum Beispiel unrund, dass Kinder im Großraum Raum Wien faktisch piefkisch reden. Und dass meine Freunde zwischen lauter Anglizismen nur mehr zufällig ein deutsches Wort finden. Ich frage mich, wer wird in 30 Jahren noch einen Herrn Karl vom Qualtinger verstehen, oder die Piefke-Saga? Oder lass mi amoi no d’sunn aufgehn segn von Georg Danzer? Nur: Sentimental sein bringt uns als Gesellschaft nicht weiter. Die Frage ist doch, was möchten wir wirklich erhalten? Was ist uns wirklich wichtig für unsere Kinder?

Ich glaube entscheidend ist am Ende des Tages nicht Schnitzel essen, Wolfgang Ambros hören und Skirennen schauen. Alles Dinge, auf die ich persönlich stehe. Aber davon wird das Lebensglück meines Zweijährigen nicht abhängen. Was für sein Leben entscheidend sein wird, sind ganz andere Dinge. Wenn er krank wird, soll er eine gute Behandlung bekommen. Wenn er beruflich den Tritt verliert, soll er sozial aufgefangen werden. Falls er schwul ist, soll er nicht diskriminiert werden. Er soll noch richtige Winter erleben können. Er soll keine Angst vor staatlicher Willkür haben müssen, seine Meinung überall frei äußern können und das in seinen beiden Sprachen. Er soll in der Nacht besoffen nach Hause torkeln können mit dem sicheren Gefühl, doss erm ned amoi des Handy fladern werden. Diese Lebensqualität ist es, die Österreich wirklich auszeichnet.

Nur beherrschen seit Jahrzehnten ganz andere Themen die Politik. Skrupellose Kräfte führen einen rechten Kulturkampf gegen ausländische Mitbürger:innen, österreichische Muslime und NGOs bis hin zur Caritas. Die FPÖ, die türkise ÖVP und einige Boulevardzeitungen haben diesen Wahnsinn zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Gekürzt wurde bei der Sozialhilfe und bei der Kinderbeihilfe. Im Schulbereich wurden Mittel zur Integration, zum Beispiel für Deutschförderunterricht, drastisch zusammengestrichen und Asylwerbern wurde verboten, eine Lehre zu absolvieren.

Führt man diese Politik fort, wird es in österreichischen Städten verwahrloste Straßenzüge geben, steigende Kriminalität und eine Zunahme der Obdachlosigkeit – ein sozialer Zerfall, von dem wir bisher verschont waren. Für die wachsende Gruppe der Verliererinnen wird es statt Sozialarbeit Law and Order geben. Weil sich diese Politik gegen Menschen mit Migrationshintergrund richtet, wird ihr Anteil in den Gefängnissen besonders hoch sein. Das werden die Rechten als Beleg dafür verwenden, dass gegen Menschen mit Migrationshintergrund noch stärker vorgegangen werden muss. Es wird eine schrumpfende Oberschicht geben, die immer reicher wird, und eine wachsende multiethnische Unterschicht, die immer ärmer wird. Wenn wir diesen Weg gehen, landen bei den sozialen und politischen Zuständen der USA. Ich möchte nicht, dass mein Sohn in einer solchen Gesellschaft aufwächst.

Deshalb würde ich mir wünschen, dass Leute aufstehen und sagen Stopp, es geht doch um ganz was anderes. Ich würde mir eine politische Persönlichkeit wünschen, die einmal ganz klar sagt:

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger

Unsere Republik hat heute eine Lebensqualität wie nur eine Hand voll anderer Länder auf der Welt. Österreich gehört damit zu einem exklusiven Klub, der sich sehr glücklich schätzen kann. Lebensqualität ist die härteste politische Währung, weil sie das individuelle Glück von Millionen verdeutlicht. Wir lieben unsere Lebensqualität. Sie möchten wir weiter ausbauen und dafür sorgen, dass unsere Mittelschicht nicht schrumpft, sondern wächst.

Und dafür ist ganz entscheidend, wie wir mit der Tatsache umgehen, dass sich unsere Bevölkerung durch Migration stark verändert hat. In unserem Land leben über zwei Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Österreich ist jetzt schon eine Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist und das wird in 20 Jahren noch viel stärker der Fall sein als es heute ist.  

Die heranwachsenden Jahrgänge mit Migrationshintergrund sollen an der hohen Lebensqualität in Österreich teilhaben können. Um unsere Mittelschicht erhalten zu können müssen sie Teil dieser Mittelschicht werden. Die Kinder, die von der Statistik her einen Lehrabschluss oder eine HAK-Matura am unwahrscheinlichsten schaffen werden, müssen am meisten gefördert werden. Unser Bildungssystem richten wir darauf aus, dass sie Schwächsten die höchsten Standards erreichen können.    

Die Lebenschancen der Einzelnen bestimmen über die Lebensqualität aller. Unseren Wohlstand, unseren sozialen Frieden und unsere Demokratie werden wir nur erhalten können, wenn alle die hier leben auch zu Österreich gehören. Davon hängt die Lebensqualität unserer Republik im Jahr 2050 ab. Und wenn wir uns nicht spalten lassen, sondern alle an einem Strang ziehen, dann können wir das auch schaffen!