Transkript Folge 03 „Kowall redet Tacheles“
„Bildungsferne Schichten“, „Bildungsverlierer“, „sozial Benachteiligte“: So benennen Wissenschaft, Politik, Medien und auch Spitzenleute der SPÖ, Menschen, die die ganz normale Jobs machen. Die Politik möchte den Leuten aber mehr versprechen können als ganz normale Jobs. Und wenn sich das in diesem Leben nicht mehr ausgeht, dann wenigstens für die Kinder. Die SPÖ-Chefin Pamela Rendi Wagner hat es bei ihrem ersten Auftritt im Parlament so ausgedrückt: „Ich möchte, dass wir am Ende sagen können: Wir haben unsere Arbeit gut gemacht. Die Chancen auf sozialen Aufstieg sind gestiegen.“[1] Das ist seit Jahrzehnten das große Versprechen der SPÖ. So glaubt die Partei, dass sie ihre Rolle als Anwältin der kleinen Leute am ehesten wahrnehmen kann. Aber da sind Zweifel angesagt.
Reden wir einmal Tacheles! INTRO
Den Roten schwebt ein Idealbild vor, nämlich, dass ein Arbeiterkind ein Hochschulstudium absolviert. Nicht nur Pamela Rendi-Wagner, sondern auch viele ihrer Vorgänger als SPÖ-Chefs wie Christian Kern, Alfred Gusenbauer oder Franz Vranitzky haben diesen Traum vom sozialen Aufstieg selbst verkörpert. Etliche Studien zeigen, dass der soziale Aufstieg in Österreich[2] schwieriger zu verwirklichen ist als in anderen Ländern. Deshalb hat jede Partei absolut recht die sich dafür einsetzt, dass es hier mehr Chancengerechtigkeit gibt. Die Frage ist nur: Kann das das Hauptversprechen einer Arbeitnehmerpartei sein?
Stellen wir uns eine Frau vor, die in den 90er-Jahren um die Ecke meines Elternhauses im niederösterreichischen Hainfeld, Hacklerin in einer Firma für Schlösser und Beschläge war. Nennen wir sie Tamara. Sie wurde zwischendurch arbeitslos, mehrfach umgeschult und arbeitet jetzt Teilzeit im Einzelhandel. Die Arbeit als Regalschlichterin ist weniger schmutzig, entspricht aber nicht ihrer Ausbildung als Metalltechnikerin. In ihrer alten Firma hätte sie theoretisch noch ein bis zwei Stufen aufsteigen können, aber die Bude konnte vor 20 Jahren der globalen Konkurrenz nicht mehr standhalten. Es liegt auf der Hand: Die Tamara wird wohl niemals sozial aufsteigen.
Ja und? Was heißt das, wenn man nicht sozial aufsteigt? Dass man zu bemitleiden ist? Dass man kein gutes Leben führen kann? Dass man eine verlorene Seele ist? Ist ein Hochschulabschluss der einzige Weg um ein vollständiger Mensch zu sein? Über zwei Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer üben auch heute noch entweder manuelle oder Routinetätigkeiten aus.[3] Wenn also vom Aufstieg durch höhere Bildung gesprochen wird ist das eine indirekte Abwertung der großen Bevölkerungsmehrheit. Es ist auch eine Abwertung der – oftmals hochqualitativen – Ausbildung, die viele genossen haben – von der Lehre bis zur HAK. Wenn den Menschen konstant über die Politik und die Massenmedien vermittelt wird, dass sozialer Aufstieg alles ist, worum es im Leben geht, löst das natürlich eins aus: Frustration.
Die Idee des sozialen Aufstiegs kommt aus den 1970er-Jahren, als in einer Periode großen wirtschaftlichen Fortschritts viele neue Jobs für Angestellte entstanden sind. Die Zeit ist verknüpft mit dem Namen Bruno Kreisky, dem damaligen SPÖ-Bundeskanzler. Er ist bis heute der Säulenheilige seiner Partei. Aber als sich 100 Jahre vor Bruno Kreisky die ersten Gewerkschaften gegründet haben, ist das nicht geschehen, weil man den Leuten sozialen Aufstieg versprochen hat. Die Gewerkschaften wollten einfach die Lebenssituation der Arbeiterinnen und Arbeiter verbessern. Dazu braucht es eine Anerkennung für das was man tut. Es bedeutet selbstbewusst zu sagen: Das was ich mache ist wichtig und das soll sich auch in den Arbeitsbedingungen niederschlagen. Die frühen Arbeiterführer haben ihren Kollegen vermittelt, dass der Wert ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft unermesslich ist! Dass sie dafür mehr Anerkennung und mehr Lohn verdienen. Sie haben gesagt: Wir sind zwar nur einfache Arbeiter, aber wir tragen die Welt auf unseren Schultern. Die alte Arbeiterbewegung hat Wertschätzung verbreitet, Berufsstolz und Optimismus.
Heute hingegen glauben auch viele SPÖler, dass die einzige Chance für ein besseres Leben die Flucht von seiner sozialen Herkunft durch sozialen Aufstieg ist. Aber wie soll jemand, der empfiehlt die kleinen Leute hinter sich zu lassen glaubwürdig der Anwalt der kleinen Leute sein? Wie soll man es so schaffen, dass die gewöhnlichen Menschen wieder im Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit stehen?
In einer Gesellschaft, in der es nur um Konkurrenz und Aufstieg geht, ist der gewöhnliche Mensch nichts wert. Und genau damit werden wir uns beim nächsten Mal beschäftigen.
Wenn ihr euch genauer über meine Aktivitäten informiert wollt, dann meldet euch auf kowall.at für meinen Newsletter an. Und wenn ihr meine Videoserie unterstützen wollt, dann könnt ihr sie teilen, liken oder folgt mir einfach. Ihr könnt das auch auf meiner Webseite, mit einer Spende machen. Danke für eurer Interesse!
[1] SPÖ Parlamentsklub (2019): „Nationalrat – Rendi-Wagner: Parlament ist ein Chancenbringer für eine gute Zukunft Österreichs“
[2] Disslbacher (2020): „Soziale Mobilität in Österreich: Illusion Chancengleichheit?“ Blog Arbeit & Wirtschaft
[3] Wirtschaftsforschungsinstitut (2016): Österreich im Wandel der Digitalisierung