Transkript Folge 07 „Kowall redet Tacheles“
Im oberösterreichischen Steyr möchte der LKW-Hersteller MAN ein Werk mit 2.300 Beschäftigten schließen und die Produktion nach Polen verlagern. Wundert uns das? Immerhin kennen wir doch seit Jahren die Warnungen. Angeblich ist Österreich nicht wettbewerbsfähig und der Wirtschaftsstandort rutscht im Ranking ab. Das hört sich dann so an:
„Die Experten vom Beratungsunternehmen Deloitte haben den Standort Österreich untersucht und stellen dem Land kein gutes Zeugnis aus (…) Der Wirtschaftsstandort Österreich ist nur Mittelmaß (…) Beim Faktor „Kosten“ gibt es laut Studienautoren seit Jahren den dringendsten Handlungsbedarf.“ (Quelle: Trend)
Ist Österreichs Wirtschaft so wenig wettbewerbsfähig?
Reden wir einmal Tacheles!
In Bulgarien kostet eine Arbeitsstunde in der Industrie fünf Euro. In Österreich 40 Euro. Da drängt sich eine simple Frage auf: Wieso produziert noch ein einziges Unternehmen in Österreich? Es sind ja nicht nur die Löhne höher, sondern Arbeitsstandards und Umweltnormen. Ein niederösterreichischer Unternehmer, mit dem ich ein Interview geführt habe, liefert uns die wichtigste Erklärung. Er sagt, seine osteuropäische Konkurrenz verliert die Hälfte von ihrem Lohnvorteil im Produktionsprozess. Das heißt die Abläufe sind in der heimischen Industrie effizienter.
Das liegt in erster Linie an der hohen Qualifikation der Mitarbeiterinnen. Alle Unternehmen, die ich untersucht habe, sind sich einig, dass die Mitarbeiter ihr wichtigster Joker sind. Außerdem haben heimische Unternehmen eine modernere Infrastruktur. In Kombi machen sie weniger Umwege, weniger Fehler. Nehmen wir an, eine Arbeitsstunde im österreichischen Unternehmen ist doppelt so teuer wie bei der ausländischen Konkurrenz. Aber das österreichische Unternehmen stellt in einer Arbeitsstunde auch dreimal so viel her. Dann hat das einzelne Stück, z.B. ein Getriebe oder ein Silikonteil, am Ende im österreichischen Betrieb weniger gekostet als im ausländischen. Denn die Produktivität der heimischen Unternehmen ist in diesem Fall einfach höher.
Die Produktivität ist aber nur eine Erklärung. In der heimischen Industrie sind auch das technische Niveau und die Qualität höher als in vielen Ländern mit günstigerer Produktion. Auch das liegt primär an den Mitarbeiterinnen. Ein Beispiel aus einer Firma für Edelstahltechnik: Selbst erfahrene Schweißer, die neu aufgenommen werden, brauchen noch einmal vier Jahre um das Niveau im Unternehmen zu erreichen. Das sind absolute Spezialistinnen. Nicht wenige Fachkräfte in der österreichischen Industrie kommen übrigens aus Osteuropa und helfen so indirekt mit, die heimische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ihren Herkunftsländern aufrecht zu erhalten.
Viele technisch anspruchsvolle Produkte können z.B. immer noch nicht in China hergestellt werden, oder zumindest nicht in der entsprechenden Qualität. Und was man absolut nicht unterschätzen darf: Die österreichischen Exportunternehmen haben ein sehr gutes Service: Sie sind pünktlich, bearbeiten Reklamationen umgehend und sind allgemein verlässlich. Aus all diesen Gründen können heimische Unternehmen Löhne zahlen, die weit über jenen von osteuropäischen oder asiatischen Ländern liegen. Oder umgekehrt gedacht: Um Technologie, Qualität und Service aus Österreich bieten zu können, muss man eben die entsprechende Löhnen zahlen.
Es mag manche überraschen, aber: Die österreichische Industrie ist sehr stark. Sie trägt direkt über 20 Prozent zur gesamten Wertschöpfung im Land bei, was im Vergleich mit anderen wohlhabenden Ländern ein ausgesprochen hoher Wert ist. Die Industrie ist fast viermal so wichtig für die österreichische Wirtschaft wie der Tourismus.
Bedeutung der Industrie für die Wirtschaft (2020)

Wieso hören wir dann von der Industriellenvereinigung, dass Österreich wettbewerbsfähiger werden muss? Wieso behauptete die Wirtschaftskammer einmal, dass Österreich abgesandelt ist? Simple Antwort: Das Geschäftsmodell von Wirtschaftsvertretern ist es, hysterisch zu sein. So glauben sie möglichst viel Druck ausüben zu können, um Steuern und Löhne zu senken. Das ist wirtschaftlich falsch, weil ein Kostenwettbewerb einen bei Innovation und Technologie nicht voranbringt. Und gerade das ist der Schlüssel für den ökologischen Umbau der Wirtschaft. Es ist auch gesellschaftlich unverantwortlich, weil die Wirtschaftsvertreter damit ein Klima von Angst und Verunsicherung schaffen. Die Folge davon ist, dass sich zunehmend mehr Menschen von anonymen Marktkräften unter Druck gesetzt fühlen. So ohnmächtig und ausgeliefert zu sein, schwächt aber jedes Vertrauen in die Demokratie.
Die Wahrheit ist – und das ist doch super – die österreichische Gesellschaft ist sehr wohlhabend und die Wirtschaft ausgesprochen produktiv. Die Industrie ist das Rückgrat der österreichischen Volkswirtschaft. Die starke österreichische Wirtschaft ist nicht auf Sand gebaut, sondern steht auf einer bald 200jährigen industriellen Tradition. Und alle, die hysterisch Kosten senken möchten, riskieren sogar den industriellen Kern unserer Wirtschaft abzuschmelzen.
Das was den österreichischen Wohlstand nämlich wirklich gefährdet ist ein ruinöser Kostenwettbewerb zwischen den Standorten. So wie wir ihn jetzt im Fall von MAN erleben, wo man die Produktion von Steyr nach Polen verlagern möchte. Wenn ihr mehr zu diesem Unterbietungswettlauf wissen möchtet schaut mein nächstes Video.
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