Transkript Folge 11 „Kowall redet Tacheles“
Wieso sind Kassenordinationen völlig überfüllt und ich muss immer öfter zum Wahlarzt rennen? Wieso finde ich hinter der Sicherheitskontrolle am Flughafen kein Wasser zu normalen Preisen? Wieso gibt es immer weniger kostenlose Klos auf Bahnhöfen oder Tankstellen? Wieso gibt es nur noch so wenige Schulskikurse, obwohl Skiurlaub mit der Familie immer mehr zum Reichenprogramm wird? Wieso gibt es keinen europäischen Spitzenfußball im öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Wieso werden immer mehr Dinge zur Ware, die es früher nicht waren?
Reden wir einmal Tacheles
Wenn ich als Jugendlicher mit der Bahn von Hainfeld über St. Pölten nach Wien gefahren bin, bin ich am Westbahnhof angekommen. Die Ankunftshalle war mit der U-Bahnstation durch eine lange Rolltreppe verbunden. Für uns Landkinder ein legendäres Symbol für Urbanität. Heute ist der Weg zur U-Bahn so gestaltet, dass ich kreuz und quer durch ein Shoppingcenter laufen muss. Vor 100 Jahren waren Bahnhöfe architektonische Tempel, die das technische Niveau einer ganzen Nation verdeutlichen sollten. Heute sind es Kaufhäuser, wo ich in Filialen von gesichtslosen globalen Ketten das gleiche bekomme wie überall anders auch.
Vor zehn Jahren ist am Westbahnhof ein klassischer öffentlicher Raum, nämlich ein Bahnhof, kommerzialisiert worden. Das heißt die Welt der Waren, die unser Leben im Kapitalismus ohnehin völlig im Griff hat, hat sich noch ein Plätzchen dazu erobert. Der Westbahnhof ein Beispiel fortschreitender Kommerzialisierung.
Auch die Natur wird kommerzialisiert, also zur Ware gemacht. Zum Beispiel ein Privatgrundstück an einem natürlichen Badesee das nur den Eigentümern zugutekommt und vielleicht dreißig Tage pro Saison genutzt wird. Das ist eine Verschwendung von Wohlstand! Ein paar zusammengelegte Seegrundstücke würden schon einen vernünftigen Badeplatz ergeben. Eine Frühstückspension wäre bereits ein Fortschritt, weil das Grundstück hunderten Menschen zugutekäme und täglich genützt wäre. Aber für die ortsansässige Bevölkerung oder Tagesausflügler müsste selbstverständlich sein, dass es frei zugängliche Seegrundstücke gibt. Wieso kann ich als Bürger dieser Republik überall in den Wald gehen, auf jeden Berg steigen, aber in viele Seen nicht einmal reinhüpfen?
Zum Glück gibt es auch tolle Gegenbeispiele. Im Norden der Stadt Salzburg befindet sich das Seebad Liefering. Zwei Hektar See, sieben Hektar Wiese, Blick auf die Berchtesgardener Alpen. Ein Badesee in der Stadt Salzburg mit Bergpanorama wäre für private Immobilieninvestoren ein sehr lukratives Objekt. Bei Preisen von 1.000 EUR pro Quadratmeter Bauland käme man beim Seebad Liefering auf einen Grundstückswert von 70 Millionen. 70 MILLIONEN Euro, das ist der Marktwert des Seebads Liefering. Wenn ich mir dort Pommes kaufe muss ich mir eigentlich sagen: Danke liebe Stadt Salzburg, dass du mir diese Luxus-Liegenschaft zur Verfügung stellst! Würde man das Areal privatisieren, könnten dort gerade ein paar hundert Leute leben. Als Badestrand können jeden Tag Tausende kommen. Für null Euro Eintritt. Das Seebad Liefering ist das, was man ein öffentliches Gut nennt. Niemand kann von seiner Nutzung ausgeschlossen werden, alle haben was davon.
Öffentliche Güter bieten ein Service, das sich außerhalb vom Kommerz abspielt. Egal ob es sich um ein öffentliches Klo handelt, oder um die öffentliche Pensionsversicherungsanstalt. Das ist mit einem Budget von 40 Milliarden Euro einer der finanzstärksten Konzerne Österreichs – und das ganz ohne Profitlogik. Öffentliche Güter sind auch eine der traditionellen Stärken der Stadt Wien und das geht weit über den Gemeindebau hinaus. Der Kindergarten für meinen Zweijährigen ist auch ein öffentliches Gut. Er bekommt eine professionelle pädagogische Betreuung, drei Mahlzeiten dazwischen Obst. Kosten: 67 Euro im Monat. In Zürich kostet der Kindergarten 70 Euro. Am Tag.
Es gibt eine ganze Reihe an öffentlichen Gütern in Wien die einfach leiwand sind: Zum Beispiel 16 Grillplätze auf der Donauinsel die man online reservieren kann. Es gibt konsumfreie Zonen wo man ein Buch lesen oder Abends ein Dosenbier trinken kann. Große wie das Museumsquartier aber auch kleine wie die Wientalterrasse. Es gibt ein Ticket für den gesamten öffentlichen Verkehr um einen Euro am Tag. Es gibt die 28 Hektar große Badeinsel Gänsehäufl. Investorenwert: 280 Millionen Euro. Eine weitere Luxusimmobilie für alle. Das jüngste Beispiel in Wien sind die neuen Trinkbrunnen. 75 stehen bereits in der Stadt herum und spenden das köstliche Wiener Hochquellwasser. Errichtung und Wartung kosten die Stadt natürlich Geld. Aber zig Standl für Plastikfalschen wären eine viel größere Vergeudung von Ressourcen. Der Trinkbrunnen ist also nicht nur praktisch für die Bürgerinnen, sondern auch noch wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll.
Das Ziel des roten Wiens war immer, dass man mit wenig Geld ein gutes Leben führen kann. Und dass man Freizeit auch außerhalb der Warenwelt genießen kann. Das ist toll für alle, die wenig Geld haben, für alle die sparsam sind und für alle, die keine Lust haben, dass der Kommerz auch noch ihre ganze Freizeit auffrisst. Öffentliche Güter bieten zahlreiche Möglichkeiten die Lebensqualität der Menschen konkret zu verbessern. Umgekehrt bedeutet ihr Rückbau eine Verschlechterung der Lebensqualität. Dass unser Gesundheitssystem, also eines der wichtigsten öffentlichen Güter überhaupt, scheibchenweise privatisiert wird empört die Leute unglaublich. Völlig zu Recht!
In Zeiten des Klimawandels haben öffentliche Güter noch eine weitere, geradezu lebenswichtige Funktion: Der individuelle Konsum muss im Durchschnitt weniger werden, weil wir andernfalls die Ressourcen der Erde zu rasch vergeuden und dabei die Erderwärmung anheizen. Öffentliche Güter sind eine Möglichkeit, diese Einschnitte zu lindern. Gibt es eine S-Bahn brauche ich keine 500 Autos. Gibt es einen Trinkbrunnen, brauche ich keine 5.000 Plastikflaschen. Gibt es einen gescheiten öffentlichen Badesee, brauche ich keine 50 privaten Swimmingpools in der Gemeinde. Damit ist auch deutlich weniger Flächenversiegelung, Materialverbrauch und CO2-Ausstoß erforderlich. Öffentliche Güter sind also nicht nur sozial gerecht und volkwirtschaftlich effizient, sie sind obendrein auch noch ressourcenschonend.
Was mehr öffentliche Güter und weniger individueller Konsum für unser Arbeitsleben bedeuten, damit werden wir uns beim nächsten Mal beschäftigen.
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