Die Abwertung des Menschen zum Rädchen in der Maschine

Transkript Folge 02 „Kowall redet Tacheles“

In der sozialen Marktwirtschaft sollen die Wirtschaft und der Staat dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Es steht weder der Markt im Mittelpunkt noch der Staat, sondern der Mensch. So sieht es zum Beispiel der Präsident der Wirtschaftskammer Harald Mahrer wenn er sinngemäß sagt die soziale Marktwirtschaft ist der goldene Mittelweg[1] zwischen komplettem Kapitalismus und kompletter Staatswirtschaft. Und die deutsche Regierungspartei CDU von Angela Merkel hält in ihrem Programm fest: „In der Sozialen Marktwirtschaft steht der Mensch im Mittelpunkt“.[2] Aber beschreibt das die Gesellschaft in der wir leben?

Reden wir einmal Tacheles!

Um herauszufinden ob wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben werfen wir einen Blick in die Arbeitswelt. Fragt einmal die Älteren, wie sie die Ausübung ihres Berufs in den 1960er- und 1970er-Jahren erlebt haben. Sie werden euch folgendes sagen: Es war nicht leicht, aber es wurde laufend besser. Die Einkommen sind mehr geworden, die Arbeitszeit weniger. Es war viel einfacher Arbeit zu finden. Die Firmen haben einen schon von der Lehre oder von der HTL weg abgeworben. Ja Arbeitskräfte waren so gesucht, dass sie sogar aus dem Ausland welche angeworben haben. Dadurch war die Angst geringer die Arbeit zu verlieren. Viele sind überhaupt in der gleichen Firma in Pension gegangen, in der sie als Junge angefangen haben. Im Betrieb war die Wertschätzung für den einzelnen hoch, insgesamt war der Stress weniger.

Dass es damals so war hat viel mit Politik zu tun. Die Gewerkschaften hatten viel Einfluss und die Demokratie war stark. In der damaligen Zeit hat man gesagt: Ihr seid das Volk, an euch soll sich die Politik orientieren: Verkürzung der Arbeitszeit, Einführung von Arbeitsschutzbestimmungen, Einführung des Kündigungsschutz, Ausweitung des Urlaubs. Der durchschnittliche Arbeitnehmer und die Verbesserung seines Lebens standen im Zentrum der Aufmerksamkeit. In der alten Zeit war die Wirtschaft für den Menschen da und nicht der Mensch für die Wirtschaft.

Was sagt man heute, also quasi eine Globalisierung später, zum durchschnittlichen Arbeitnehmer? Ihr seid Produktionsfaktoren in einer globalisierten Wirtschaft. Auf Deutsch: Ihr seid ganz kleine Rädchen in einer großen Weltmaschine. Eure Situation kann nicht besser werden, aber damit sich euer Lebensstandard zumindest nicht verschlechtert müsst ihr:

  • voll flexibel einsetzbar sein
  • höhere Produktivitätsziele erreichen
  • möglichst immer erreichbar sein
  • euch permanent und lebenslang weiterbilden

Stellen wir uns eine Frau vor, die in den 90er-Jahren um die Ecke meines Elternhauses im niederösterreichischen Hainfeld, Hacklerin in einer Firma für Schlösser und Beschläge war. Sie heißt Tamara und hat in der Firma Metalltechnikerin gelernt. Diese Frau hat erlebt, was internationale Konkurrenz und Globalisierung bedeuten: Umstrukturierung, Rationalisierung, Eigentümerwechsel. Sie wurde zwischendurch arbeitslos, mehrfach umgeschult und arbeitet jetzt Teilzeit im Einzelhandel. Die stabile Arbeitswelt ihrer Eltern und Großeltern kennt die Tamara nur aus Erzählungen.

In unserer neuen Welt steht der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt. Die Politik orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern die Menschen orientieren sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft. In unserer Zeit ist der Mensch für die Wirtschaft da und nicht die Wirtschaft für den Menschen.

Die Abwertung des Menschen zum Produktionsfaktor passiert unter Verwendung klingender Begriffe: Workforce, Menschlicher Input oder Humankapital. Im damaligen Plan A[3] des Bundeskanzlers Christian Kern hieß es zum Thema Humankapital wortwörtlich: „Schon im Kindergartenalter sollen spielerisch »analog« mit Bauklötzen erste Erfahrungen mit einfachen »Programmieraufgaben « gemacht werden.“ Na bitte ned! Zum Glück ist mein Kleiner in einem Stadt Wien Kindergarten. In einem ganz normalen mit viel Herz und ohne Schaß. In etlichen Unternehmen heißt die Personalabteilung heute Human Ressource. Das heißt ein Unternehmen verwendet für die Produktion unterschiedliche Inputs: Rohmaterial, Energie, Maschinen und was war da noch? Aja: menschliche Ressourcen.

Damit das Werkl reibungslos rennt brauchen wir auch noch Lohnspreizung. Die Arbeitslosigkeit ist nur dann gering, so die Behauptung, wenn die Unterschiede zwischen den Löhnen groß sind. Auf Deutsch: Spitzenbankerinnen sollen exzellent verdienen, Amazonschlichter einen Pappenstiel. Naja, da sind wir ja schon angekommen.

Mit diesen Begriffen ist eine simple Übung gelungen. Sie weisen den durchschnittlichen Arbeitnehmer wieder in die Schranken. Sie haben den Menschen wieder klein gemacht. Das kommt Vertretern einiger politischer Richtungen sehr gelegen. Nämlich allen jenen, denen sowieso nie recht war, dass die durchschnittliche Arbeitnehmerin durch die Demokratie und durch die Gewerkschaft so selbstbewusst geworden ist. Der Druck der Globalisierung war für viele nur die Gelegenheit endlich wieder das durchzusetzen, was sie immer schon wollten: Den guten alten Zustand wieder herstellen, in dem es in der Gesellschaft ein ganz oben gibt und ein ganz unten. Und dazwischen viel Platz.

Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz, Lohnnebenkosten, Lohstückkosten, Arbeitsanreize. Das ist das was sie sagen. Das andere ist das was sie eigentlich meinen: Wer es selbst nicht nach oben geschafft hat, der muss halt parieren und basta. Und das gilt auch für die Tamara aus Hainfeld. Sie muss sich als kleines Rädchen eben an die große Wirtschaftswelt anpassen und nehmen was sie bekommt. Friss oder stirb! Wer nicht zur Elite gehört soll für die Elite arbeiten. Das ist die simple weltanschauliche Kernidee unserer Zeit. Eine Zeit, die oft als neoliberal bezeichnet wird.

Beim nächsten Mal stellen wir uns die Frage wieso die SPÖ, die ja die Anwältin der kleinen Leute war, diese Entwicklung nicht aufhalten konnte.

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[1] Julius Raab Stiftung (2013): „Ökosoziale Marktwirtschaft, was sonst? Interview mit Harald Mahrer“

[2] CDU (2018): „Wirtschaft für den Menschen – Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert“

[3] SPÖ (2017): „Plan A für Austria. Das Programm für Wohlstand, Sicherheit & gute Laune“